„Einen Mangel an Nachfolgern gibt es nicht“
Eine überraschende Aussage angesichts der Tatsache, dass die Unternehmens-Nachfolge neben Digitalisierung und Fachkräftesicherung derzeit wohl die größte Herausforderung für den Mittelstand darstellt. Ein Interview von Heino Erdmann (Vice President Finance & Operations bei Sage für die kaufmännische Steuerung der Region Zentraleuropa mit Alexander Reichel (Geschäftsführer Oakstreet GmbH)
Herr Reichel, Sie betreuen weit mehr Kaufinteressenten als Unternehmensverkäufer. Trotzdem suchen zahlreiche Mittelständler erfolglos nach dem/der passenden NachfolgerIn. Was erschwert Ihrer Meinung nach die Nachfolger-Suche bzw. die Suche nach übernahmewilligen Interessenten – woran hakt es?
Um ein Gefühl für die Größenordnung zu bekommen: Alleine bei meinem Münchner Team haben sich im Jahr 2019 rund 400 Kaufinteressenten selbst aktiv auf Verkaufsangebote gemeldet. Zusammen mit Direktansprachen kommen wir so auf etwa rund 1.100 Käuferkontakte pro Jahr nur mit Bezug zur Region Bayern. Diese Kontakte sind natürlich von unterschiedlicher Qualität und Ernsthaftigkeit. Im gesamten concess-Netzwerk betreuen wir in der DACH-Region dennoch etwa 2.500 geprüfte und persönlich bekannte Käufer.
Die zwei größten Hindernisse sind unserer nach Erfahrung mangelnde Vorbereitung und unrealistische Annahmen in Bezug auf den Unternehmenswert sowie die Dauer und Intensität des Nachfolgeprozesses. Deshalb gehört für uns zur guten Vorbereitung unbedingt eine gründliche Analyse des Unternehmens aus Sicht eines kritischen Kaufinteressenten und die ehrliche Diskussion mit dem Verkäufer, wo sein Unternehmen aus Käufersicht steht, welcher Kaufpreis zu erreichen ist und für welche Art von Interessenten der Kauf besonders spannend wäre. Das sind zum Teil sehr intensive Diskussionen, die so manche Fehleinschätzung des Verkäufers ausräumen können. Zwischen Verkäufer und Vermittler muss Vertrauen herrschen und ein klarer Austausch möglich sein. Finden diese Klärungen erst später im direkten Kontakt zwischen Verkäufer und Käufer statt, ist ein Verkauf meist unmöglich. Das ist einer der klassischen Gründe für das Scheitern des Verkaufsprozesses, wenn der Verkäufer alleine und ohne erfahrene Unterstützung in einen Verkaufsprozess geht.
Bei guter Vorbereitung interessieren sich für ein gutes Unternehmen auch mal 50, 60 oder mehr Käufer. Diese Kaufinteressenten erfahren nicht alle, um welches Unternehmen es sich konkret handelt. Wir selektieren nach den abgestimmten Kriterien daraus nur die passendsten für den persönlichen Kontakt zum Verkäufer.
Viele Jung-Unternehmer, die eine Nachfolge ins Auge fassen, scheitern an der Finanzierungsfrage – ihnen fehlt schlicht das Mindestkapital für eine Übernahme. Welche alternativen Möglichkeiten gibt es in so einem Fall?
Ein Ansatz von sicher mehreren: Es ist nach wie vor eine unglaubliche Menge an Kapital im Markt, das Beteiligungs- und Investitionsmöglichkeiten sucht. Allerdings führt Kapital allein keine Unternehmen zum Erfolg. Es braucht die Menschen, die Unternehmertum leben wollen. In der richtigen Kombination liegt der Erfolg. Wir begleiten als Münchner Team auch zurzeit wieder einen erstklassigen jungen Unternehmer bei seiner Suche nach einem mittelständischen Unternehmen. Er selbst verfügt nur über bescheidenes Eigenkapital, hat aber einen erfahrenen Unternehmer so klar überzeugt, dass dieser das zusätzliche Kapital für den Erwerb eines größeren mittelständischen Unternehmens einbringt. Die Resonanz im Markt ist großartig. Wir haben bereits 70 Unternehmen in Bayern analysiert, die zur Suche des Jungunternehmers passen würden und direkt einbezogen. Nach vier Wochen Projektlaufzeit sprechen wir bereits mit den ersten vier verkaufsinteressierten Unternehmen.
Würden Sie in der aktuellen Situation Unternehmern, die ihren Betrieb im Rahmen einer Nachfolge veräußern möchten, raten damit zu warten?
Man unterschätzt leicht, wie komplex ein Verkaufsprozess sein kann und wie viel Zeit eine gute Vorbereitung benötigt. Also nein, sobald das Thema – vermutlich nicht ohne Grund – im Bewusstsein des Unternehmers ist, sollte er mit der Vorbereitung beginnen. Und wenn es nur zwei oder drei Stunden Erstgespräch mit einem transaktionserfahrenen Berater oder einem befreundeten Unternehmer sind, der die Nachfolge schon geregelt hat. Den Verkaufsprozess selbst, also das aktive Gehen an den Markt, würde ich in der Tat gut an die weitere Marktentwicklung und die individuelle Nachfrage nach dem Unternehmen oder in der jeweiligen Branche anpassen. Ganz konkret: Die Vermittlung einer Werbeagentur für das Handelssegment haben wir bis zum Herbst ausgesetzt. Bei einem Hersteller von Medizinprodukten sind wir gerade in der Due Diligence und rechnen mit einem erfolgreichen Abschluss.
Eines darf man nicht vergessen: Die Covid-19 Situation ist wie ein Vergrößerungsglas, das die Schwachstellen jedes Unternehmens offenlegt. Wer sich jetzt bewährt und zeigt, dass die Unternehmung mit der Situation unternehmerisch umgehen kann, hat die besten Argumente für den Nachfolgeprozess.
Wie entwickeln sich die (Ver-)kaufspreise?
Am Ende ist der Verkaufspreis auch bei einem Unternehmen immer das Ergebnis von Angebot und Nachfrage. Es mag noch so schöne Rechenmodelle für den Unternehmenswert geben. Jemand muss bereit – und in der Lage – sein, ganz konkret einen abschlussfähigen Preis zu bezahlen. Was sich in den letzten Monaten grundlegend verändert hat, ist die Planbarkeit der Geschäfts- und vor allem der Ergebnisentwicklung. Es wird daher öfter und in höheren Anteilen variable Kaufpreisbestandteil, z.B. in Form eines Earn-Outs geben. Das sehen viele Verkäufer nicht gerne. Manche zählen den variablen Anteil auch emotional gar nicht zum Kaufpreis. Das verzerrt das Gesamtbild und die Entscheidungsfindung. Wir bieten unseren Mandanten daher folgende Sichtweise an: Der fixe Kaufpreisanteil muss den Kern des Unternehmens fair bewerten. Und das unabhängig von den größten Schwankungen. Die langjährige Ertragskraft, die Stabilität und gleichzeitig Flexibilität der Organisation und die langfristige Tragfähigkeit des Geschäftsmodells findet hier ihren Preis. Und natürlich muss auch die Wertschätzung der unternehmerischen Leistung des Verkäufers Ausdruck finden. Für die Unwägbarkeiten und Planungsschwächen kann dann ein variabler Anteil für die Zielerreichung der Folgejahre eine faire Lösung für beide Seiten sein.
In welchen Unternehmensbereichen sind Anpassungen besonders nötig, um sattelfest durch die Krise zu kommen?
Den meisten Unternehmen dürften in den letzten Wochen wieder bewusst geworden sein, wie wichtig eine gute Ausstattung mit Barmitteln ist. Es gibt Branchen, die leben von der Hand in den Mund. Es ist daher sicher nicht übertrieben, auch in ruhigeren Zeiten und gerade kleineren Unternehmen in eine pragmatische Unternehmensplanung zu investieren. Handlungsoptionen lassen sich außerhalb einer Krise gut entwickeln und vorbereiten. Mittendrin nur sehr bedingt.
Vielen Dank an Heino Erdmann für die Gelegenheit zu diesem Interview.